Homepage: Karsten Schuldt - Bibliothekswissenschaft - Aktuelle Anforderungen an Schulbibliotheken

3. Differenzen zwischen einzelnen Ansprüchen und das Verhältnis von Anspruch und Praxis in der schulbibliothekarischen Arbeit – Zusammenfassung und Vorortung der Ergebnisse

3.1 Differenzen zwischen den Ansprüchen einzelner Gruppen

In Tabelle 6 werden die im vorherigen Abschnitt herausgearbeiteten Anforderungen der unterschiedlichen Gruppen abschließend zusammenfassend abgebildet. Dabei sind diese neun Teilbereichen zugeordnet worden. Es ist zu beachten, dass sich keine Aussagen darüber treffen lassen, inwieweit die einzelnen Ansprüche in den jeweiligen Gruppen verankert sind. Sie wurden direkt oder indirekt als geäußerte Forderungen identifiziert, welche allerdings in extremen Fällen Einzelmeinungen darstellen könnten.

TeilbereicheBibliothekarische AnforderungenPädagogische AnforderungenAnforderungen von Lernenden und ElternAnforderungen politischer Akteure
Medien- und Informationskompetenz- Hauptaufgabe des Schulbibliotheken
Bibliotheksbenutzung- unbedingt notwendig
Spezieller Bestand- mehr als 50% Sachliteratur
- Literatur über den Lehrplan hinaus
- teilweise vorrangig Belletristik
- teilweise Literatur für alle Schulfächer
- Literatur für die Freizeit
- Literatur zur Bewältigung der Curricula
- Hilfe im Alltag
Architektur- Mittelpunkt der Schule, Lehr- und Lernraum
- Möglichkeiten für andere Formen der Nutzung als nur den Bibliotheksbetrieb
- Lernort
- Ort für sozial-pädagogische Arbeit
(- Lernort)
(- Raum für die Freizeit)
Infrastruktur- Computer
- differenzierter Medienbestand und technische Geräte, diesen zu nutzen
Curricula- Einbindung in den Unterricht
- wichtiger Ort im Schulalltag
- manchmal Unterstützung der Curricula
- Lesenlernen
- spezielle Angebote für Projektarbeit
Nutzungsformen- Projekte
- Unterrichtsbegleitendes Zusatzangebot
- flexibler Unterricht
- Projekte
- flexibler Unterricht
- Spontan
- in der Freizeit
Wissenschaftliches Lernen- als Teil der Ausbildung in der Bibliotheksbenutzung
Steigerung der LernergebnisseJaJaImplizit
Tabelle 6 Zusammenfassung der Anforderungen an Schulbibliotheken
Inhalt
0. Einleitung
1. Status quo
1.1 Begriffsbestimmungen
1.2 Zur Situation
1.2.1 Anzahl, Ausstattung und bibliothekarische Unterstützung
1.2.1.1 Infrastruktur in Deutschland
1.2.1.2 Berlin als Beispiel
1.2.2 Das PISA-Argument und die internationale Situation von Schulbibliotheken
1.2.2.1 Die PISA-Studien
1.2.2.2 Diskussionen um Schulbibliotheken im Zusammenhang mit den PISA-Studien
1.2.3 Ansätze von Kommunikation und Forschung
1.2.3.1 Schulbibliothek aktuell, schulmediothek.de und weitere Publikationen im Bereich Schulbibliotheken
1.2.3.2 Landesarbeitsgemeinschaften
1.2.3.3 Forschungsstand
1.3 Rechtliche Lage
2. Ansprüche unterschiedlicher Gruppen
2.1 Bibliothekarische Ansprüche
2.1.1 Informationskompetenz
2.1.2 Erziehung zukünftiger Nutzerinnen und Nutzer
2.1.3 Architektur und Infrastruktur
2.1.4 Einbindung in die Pädagogik
2.1.5 Desiderate
2.1.5.1 Library Skills
2.1.5.2 Gesicherte Stellung
2.2 Pädagogische Ansprüche
2.2.1 Lesekompetenz und Literacy
2.2.1.1 Leseförderung im alltäglichen Betrieb
2.2.1.2 Leseförderung mittels Projekten
2.2.2 Flexibilisierung des Unterrichts
2.2.3 Zensurenfreier Lernraum
2.2.3.1 Lernen wissenschaftlicher Arbeitsweisen
2.2.3.2 Die Schulbibliothek als sozialpädagogischer Raum
2.2.4 Desiderate
2.2.4.1 Unterricht von Nicht-Sprachenfächern mithilfe der Schulbibliothek
2.2.4.2 Unterstützung der Lehrenden
2.3 Lernende und Eltern
2.3.1 Modelle der Befragung, Partizipation und Analyse
2.3.2 Arbeitsmarkteinstieg und alltagspraktische Hilfe
2.4 Politik
2.4.1 Zukunftsfähigkeit und internationaler Wettbewerb
2.4.2 Demokratische Teilhabe, freie Meinungsäußerung und Informationskompetenz
2.4.3 Integration, nationales Selbstverständnis und ethnische Selbstständigkeit
3. Differenzen zwischen einzelnen Ansprüchen und das Verhältnis von Anspruch und Praxis in der schulbibliothekarischen Arbeit - Zusammenfassung und Verortung der Ergebnisse
3.1 Differenzen zwischen den Ansprüchen einzelner Gruppen
3.2 Bildung und Kompetenzen: Differente Subjektparadigmen
3.3 Differenzen zwischen den Ansprüchen an Schulbibliotheken und der schulbibliothekarischen Realität
3.4 Fazit
4. Aussichten und Anwendungsmöglichkeiten
4.1 Ansätze zum Ausgleich der Ansprüche
4.2 Notwendige Vorraussetzungen zur Erfüllung der Ansprüche
4.3 Exkurs: Verstärkte Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek, veränderte Aufgaben der schulbibliothekarischen Arbeitsstellen: ein deutscher Sonderweg?
4.4 Mögliche Konsequenzen für die schulbibliothekarische Arbeit
4.5 Forschungsperspektiven
4.5.1 Offene Fragen
4.5.2 Forschungsansätze

Anhang A Methodik und Auswertung der Schulbibliotheksbesuche
Anhang B Nachweise und Auswertung der Schulbibliothekssysteme der PISA-Teilnahmestaaten
Anhang C Schulen mit Schulbibliotheken und deren soziale Lage

Literatur zu Schulbibliotheken und der Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek in Deutschland
Literatur zu Schulbibliotheken international
Sonstige Literatur

Tabelle 1 Forderung Medieneinheiten pro Schülerin / Schüler
Tabelle 2 Unterstützende Institutionen für Schulbibliotheken in deutschen Bundesländern
Tabelle 3 Berliner Bezirke und Bibliothekssysteme
Tabelle 4 Schulen und Schulbibliotheken in Berlin
Tabelle 5 PISA-Ergebnisse und Schulbibliothekssysteme
Tabelle 6 Zusammenfassung der Anforderungen an Schulbibliotheken

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Bei der Bewertung dieser Ergebnisse ist daneben zu beachten, dass eine Kommunikation über die Anforderungen zwischen den einzelnen Gruppen nur in seltenen Fällen stattfindet. So setzte sich in den besuchten Schulbibliotheken jeweils die Person mit ihren Vorstellungen durch, welche die jeweilige Einrichtung leitete. Die Interessen und Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler flossen nur sehr indirekt in den Aufbau und die Angebote der Bibliotheken ein.

Dabei widersprechen sich die unterschiedlichen Anforderungen nicht. Sie implizieren zwar allesamt unterschiedliche Einrichtungen, könnten dennoch in einer Schulbibliothek zusammengeführt werden. Die differenziertesten Ansprüche finden sich in bibliothekarischen Publikationen. Hier werden Schulbibliotheken meistens als relativ eigenständig funktionierende Institutionen verstanden, welche mit den jeweiligen Schulen eng zusammenarbeiten sollen. Es werden vor allem Erfahrungen aus der Arbeit in anderen Bibliotheken auf die Konzeptionen und Auffassungen von Schulbibliotheken übertragen. Dabei wird sehr wohl auf die besondere Situation an einzelnen Schulen eingegangen, freilich erscheint es oft, als würden die Anforderungen der Pädagoginnen und Pädagogen ignoriert.

Demgegenüber vermitteln ebenso die pädagogischen Anforderungen den Eindruck, als würden von dieser Seite die bibliothekarischen Vorstellungen von den Möglichkeiten der Schulbibliotheken nicht anerkannt. Dies hat seinen Grund mit hoher Wahrscheinlichkeit in der mangelnden Kommunikation zwischen diesen beiden Gruppen, welche desöfteren beklagt wird.

Pädagogische Konzepte, welche vorrangig in den Umsetzungen in den einzelnen Schulen sichtbar werden, nehmen Schulbibliotheken nicht als Bibliothek, sondern als Ort in der Schule wahr. Dabei werden die möglichen Funktionen von Bibliotheken oft auf die Leseförderung und einen Bestand für Fakteninformationen reduziert. Auch wenn diese beiden Aufgaben von bibliothekarischer Seite als wichtig angesehen werden, wollen Konzepte aus dieser Richtung immer wieder darüber hinaus.

Die Anforderungen der beiden Gruppen treffen sich in zwei Punkten. Zum einen sehen beide in der Schulbibliothek einen Lernort. Hingegen sind damit nicht unbedingt die gleichen Formen des Lernens gemeint. Während Pädagoginnen und Pädagogen, ebenso wie offenbar auch einige Schülerinnen und Schüler, sich vor allem an Lesesälen orientieren und deshalb den Bibliotheksraum möglichst ruhig halten wollen, insistieren einige Bibliothekare und Bibliothekarinnen darauf, dass die Bibliothek als Unterrichtsraum genutzt werden müsse. Beide Fraktionen sehen in Schulbibliotheken die Möglichkeit, in kleineren Gruppen zu arbeiten. Lernende nutzen sie tatsächlich in dieser Weise. Zum anderen sehen pädagogische und bibliothekarische Vorstellungen Schulbibliotheken als Orte für fachübergreifende Projekte und einen flexiblen Unterricht an. Dabei gibt es in Publikationen beider Gruppen eine große Anzahl von Einzelbeispielen für diese Nutzungsformen. Der mögliche Nutzen solcher Anwendungen wird nur selten besprochen. Insoweit ist nicht klar, ob sich unter diesen Begriffen in den beiden Gruppen ähnliche oder widersprechende Konzepte finden.

In anderen Teilbereichen differieren die Anforderungen immens. Pädagoginnen und Pädagogen sehen zumeist in Schulbibliotheken einen Raum zur Leseförderung und Kontemplation, während Bibliothekarinnen und Bibliothekare Schulbibliotheken als eigenständige Lehrinstitutionen verstehen. Dies schlägt sich zum Beispiel in den Anforderungen an die Bestände, die Architektur und Infrastruktur nieder. Bibliothekarische Vorstellungen konzipieren Schulbibliotheken als Zentrum der Schulen, welche Literatur und andere Medien anbieten, die weit über die unterrichteten Lehrstoffe hinausgehen. Sie sehen zudem die Bibliothek als einen Ort für alle Medienformen an. Dagegen beschränken sich viele Vorstellungen von Lehrenden auf einen Bestand, welcher vorrangig aus Belletristik für unterschiedliche Leselernstufen und teilweise aus Nachschlage- und Überblickswerken, die sich auf die Curricula beziehen, besteht. Partiell wird die Vorstellung vertreten, dass es gerade ein Vorteil der Bibliotheken sein kann, nur gedruckte Medien anzubieten. So könnte den als negativ empfundenen Wirkungen neuer Medien entgegengewirkt werden.

Zusätzlich werden von Lehrenden Schulbibliotheken nicht unbedingt als Zentrum der Schulen verstanden, wie es nach bibliothekarischen Vorstellungen der Fall sein sollte. Teilweise sind sie als wichtige, dennoch etwas abseits des Schulalltags verortete Einrichtung akzeptiert, in der eine Art sozial-pädagogisch nutzbarer Raum entsteht.

Die Ansicht, dass Lernende die Schulbibliothek dafür nutzen könnten, den Umgang mit Bibliotheken zu erlernen, ist nur in bibliothekarischen Publikationen zu finden. In der Praxis werden selbst in Schulen, die Bibliothekseinführungen und -nutzungen in ihren Lehrplänen enthalten und eine Schulbibliothek betreiben, die Schülerinnen und Schüler für diese curricular vorgeschriebenen Aufgaben an andere Bibliotheken verwiesen. Ebenso schreiben nur sehr wenige pädagogische Konzepte den Schulbibliotheken die Aufgabe zu, die Medien- und Informationskompetenz der Lernenden zu erhöhen. Es wird dabei nicht bestritten, dass sie dazu beitragen könnten. Dennoch werden sie nicht für die Ausbildung dieser Kompetenzen genutzt.

Letztlich ist nicht ersichtlich geworden, was Schülerinnen und Schüler, Eltern oder die Unterhaltsträger der Schulen und damit der Schulbibliotheken von diesen erwarten. Hier sind weitere Untersuchungen notwendig. Die Besuche in Berliner Schulbibliotheken zeigten, dass diese trotz ihrer vollkommen unterschiedlichen Formen, Bestände und Ausbauten von den Schülerinnen und Schülern genutzt und von Eltern unterstützt wurden. Das bedeutet nicht, dass klar ist, was diese von ihnen fordern. Fakt ist, dass Lernende die Bibliotheken in großem Maße als Freizeitmöglichkeit für die Pausen und Freistunden nutzen. Das wird in den Konzepten für Schulbibliotheken nicht reflektiert.

Sowohl Pädagogen und Pädagoginnen als auch Bibliothekarinnen und Bibliothekare sowie zumindest implizit die politischen Akteure in Deutschland, erwarten von Schulbibliotheken, dass sie die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler verbessern. Wie genau das vonstatten gehen soll, ist unklar. Zumal pädagogische Konzepte, wie beschrieben, vorrangig auf die Steigerung der Lesekompetenz ausgerichtet sind, während bibliothekarische Konzepte die Medien- und Informationskompetenz sowie die Möglichkeiten von Bibliotheksbenutzungen, die allen Schülerinnen und Schülern nahe gebracht werden sollen, integriert wissen wollen. Die realen Schulbibliotheken sind geprägt durch das Konzept, welches jeweils umgesetzt werden soll. Dabei findet meist, schon wegen der fehlenden Kommunikation, kein Vergleich mit anderen Konzepten, Erfahrungen und Praxisbeispielen statt.

3.2 Bildung und Kompetenzen: Differente Subjektparadigmen

Die PISA-Studien und die Diskussion um deren Ergebnisse haben mit ihrer Konzentration auf Kompetenzen eine neue Perspektive in die deutschen Bildungsdebatten eingebracht. PISA misst nicht wie weit Schülerinnen und Schüler den Lehrstoff verarbeitet haben und anwenden können, sondern inwieweit sie bestimmte Aufgaben, welche beispielhaft für Situationen des Arbeitsalltags sein sollen, lösen können.

Da diese Sichtweise auf Bildungserfolge sich mit der ständigen Zitierung der PISA-Ergebnisse und dem Aufgreifen derselben in bildungspolitischen Diskussionen durchzusetzen scheint, ist es berechtigt von einem Paradigmenwechsel hinsichtlich der Anforderungen an Schülerinnen und Schüler zu sprechen. Sie werden nicht mehr vorrangig als Subjekte wahrgenommen, welche mittels Bildung zu selbstständigen und aktiven Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden. Vielmehr gelten sie als Subjekte, welche ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst effektiv auf dem Arbeitsmarkt anbieten sowie flexibel und kommunikationsorientiert nutzen können sollen. Einige sozialwissenschaftliche Publikationen, beispielsweise Boltanski und Chiapello (2003), thematisieren diese neue Form der Wahrnehmung von Aufgaben der Bildungseinrichtungen als neue Forderung an die Subjekte infolge der Veränderungen der ökonomischen und sozialen Strukturen der letzten Jahre. Dem folgend ist die PISA-Studie Teil eines gesamtgesellschaftlichen Trends.

Von solch einem Wechsel der Paradigmen ist ebenso die Ausrichtung der Schulen betroffen. Während bis heute in Deutschland modifizierte Formen der am Humboldtschen Ideal einer universalen Bildung orientierten Lehre die Curricula und Vorstellungen der Schulbildung prägen, ist noch nicht klar, ob die Fokussierung auf Kompetenzen diesen Traditionen folgen, oder aber ob die durch die Diskussionen um die PISA-Studien angemahnte internationale Ausrichtung der deutschen Bildungseinrichtungen zu einem gänzlich anderen Bildungsansatz führen wird.

Wie diese Entwicklung zu bewerten ist, ist eine politische und gesellschaftliche Debatte. Gaus (2005) weist allerdings als einziger in den Diskussionen um Schulbibliotheken darauf hin, dass sich hier ein Widerspruch zwischen den bisherigen Vorstellungen von den Aufgaben und Möglichkeiten der Schulbibliotheken und den möglichen neuen Erwartungen auftut. Bisher würde versucht, die alten Konzepte der Leseförderung als Antwort auf die neuen Anforderungen zu verkaufen und diese dabei unwidersprochen als berechtigt akzeptiert.

Obgleich man die Polemik seines Artikels nicht teilen muss, ist doch der Feststellung zuzustimmen, dass die Debatte um Schulbibliotheken bisher die neuen Bildungsparadigmen nicht integriert hat. Ist eine Schulbibliothek in der Lage, Jugendliche bei der Positionierung auf dem Arbeitsmarkt behilflich zu sein? Oder sollte die Aufgabe von Schulbibliotheken eher in der Bereitstellung einer Kontemplationszone, ohne Ausrichtung auf die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, liegen? Müssen sich mit den veränderten Forderungen an die Subjekte die Bestände und Nutzungsangebote von Schulbibliotheken ändern? Ist der Anspruch eines möglichst breit gefächerten Bestandes, wie er von bibliothekarischer Seite für Schulbibliotheken erhoben wird, heute obsolet?

Offensichtlich ist, dass die Vorstellungen davon, was Schulbibliotheken leisten sollen, sich ändern werden, wenn die Schulen sich mehr auf die Förderung von Kompetenzen und weniger auf eine allgemeine und breit angelegte Bildung orientieren. Der Überblick von Hohlfeld (1982) über die Äußerungen zu Schulbibliotheken im 19. und frühen 20. Jahrhundert hatte vor allem ergeben, dass sich deren Aufgaben in dieser Zeit mehrfach geändert haben. Brien (2003) beschreibt eine solche Verschiebung der Subjektposition für Öffentliche Bibliotheken. Während die Nutzerinnen und Nutzer in den Vorstellungen der Volkspädagogik als zu erziehende Personen vorkamen, wären sie im Konzept der Public Libraries, welches sich in Deutschland nach dem Nationalsozialismus vollständig durchgesetzt habe, zu selbstständigen Subjekten erklärt worden, denen vor allem die größtmögliche Freiheit gelassen werden müsse. Dies habe sich im Aufbau der Bibliotheken widergespiegelt. Waren in Einrichtungen, die dem volkspädaogischen Konzept folgten, Pulte, an denen die Ausgabe aller Medien erfolgte und dabei zugleich erzieherisch gedachte Gespräche mit den Nutzerinnen und Nutzern geführt werden sollten, der Mittelpunkt der Einrichtung, beherrschen in Public Libraries Regale der Freihandaufstellung die Räume der Öffentlichen Bibliotheken. Ein ähnlicher Wandel findet gegenwärtig wieder statt. Die Schulbibliotheken scheinen darauf nicht vorbereitet zu sein. Dabei könnte aus dieser Modifikation eine weitere Anforderung an sie abgeleitet werden, nämlich zukünftige Veränderungen in ihrer Konzeption zu antizipieren. Es wäre deshalb ein flexibler Aufbau von Schulbibliotheken sowie der Willen sich auf Veränderungen einzulassen, notwendig. Dies wird bisher nur von bibliothekarischer Seite implizit gefordert, wenn bei der Architektur der Räume auf flexibel zu handhabende Ausstattungen bestanden wird. Um von diesen Entwicklungen weder unvorbereitet und ohne Konzepte, noch ohne eine kritische Reflektion derselben, betroffen zu werden, wäre eine stabile Kommunikation zwischen den Schulbibliotheken notwendig. Eine solche herzustellen, ist bisher nicht gelungen.

Ebenso wäre es notwendig, die in der Einleitung gestellte Frage zu beantworten, ob es trotz der Genese der Anforderungen einen konsistenten Kern an Vorstellungen davon, was Schulbibliotheken leisten sollen, gibt. Ein solcher Kern könnte eine Grundlage für Schulbibliothekskonzepte bieten. Allerdings ist es, aufgrund der Aktualität der durch die PISA-Studien angezeigten Anforderungen noch nicht möglich – wie dies anfänglich erhofft wurde – in dieser Arbeit einen solchen Kern zu extrahieren.

3.3 Differenzen zwischen den Ansprüchen an Schulbibliotheken und der schulbibliothekarischen Realität

Im Rahmen dieser Arbeit wurden in Berlin fünf Schulbibliotheken besucht. Bei einer Gesamtzahl von 55 Schulbibliotheken im gesamten Bundesland kann dabei von einer relativ hohen Relevanz ausgegangen werden, zumal sowohl Gymnasien und Grundschulen, als auch eine Gesamtschule besucht und auf eine relativ unterschiedliche Zusammensetzung der sozioökonomischen Variablen der jeweiligen Schulen geachtet wurde. [174] Primäres Ziel dieser Untersuchung war, die Umsetzung der Anforderungen an Schulbibliotheken in der Praxis zu beobachten sowie eventuell nicht in der Literatur nachgewiesene, aber trotzdem an die Einrichtungen gestellte Ansprüche zu eruieren. Es war zu erwarten, dass sich Differenzen zwischen den Ansprüchen und der schulbibliothekarischen Realität finden lassen würden.

Grundsätzliches Ergebnis der Untersuchung ist, dass die Diskussionen um Schulbibliotheken in Deutschland, wie sie in dieser Arbeit referiert wurden, und die Praxis in Berlin ohne einen gegenseitigen Bezug stattfinden. Das Informationsportal schulmediothek.de, welches die Kommunikation zwischen den Schulbibliotheken ermöglichen soll und eines der wichtigsten Projekte der Expertengruppe Zusammenarbeit Bibliothek und Schule darstellt, war nur in einer einzigen Bibliothek bekannt. [175] Die dortige Interviewpartnerin bezeichnete das Portal als wenig hilfreich und nutzte es nicht. Eine Lehrerin, die eine Schulmediothek leitet, bewertete einige Tage nach dem Interview die Seite ebenfalls als wenig hilfreich. Obwohl sie einige Anregungen für ihre schulbibliothekarische Praxis erhalten hätte, fehlten ihr konkrete Vorlagen. Zudem sei die Seite „ausbaufähig“.

Ebenso war die Zeitschrift Beiträge Jugendliteratur und Medien, welche mit der Rubrik schulbibliothek aktuell die einzige regelmäßige Veröffentlichung für Schulbibliotheken in Deutschland anbietet, ebenfalls nur in einer Einrichtung bekannt. Dort wird sie, wegen eines zu geringen Praxisbezugs, nicht regelmäßig gelesen. Das Personal einer Schulmediothek benutzt stattdessen Die Grundschulzeitung als Fachlektüre. Die in dieser Zeitschrift zu Schulbibliotheken publizierten Artikel beschränken sich hauptssächlich auf die Vorstellung von einzelnen Projekten und Überblicksdarstellungen. Außerdem sind diese Texte nicht regelmäßiger Teil der Zeitschrift.

Keine der besuchten Einrichtungen unterhält Kontakt zu anderen Schulbibliotheken. Eine schon seit den 1970er Jahren angestellte Diplombibliothekarin berichtete davon, dass in den 1980er Jahren ein Arbeitskreis von Schulbibliotheken in West-Berlin existiert hätte. Heute gibt es weder eine solche Institution, noch ließen sich Bestrebungen finden, eine solche neu zu begründen.

Eine Kooperation mit Öffentlichen Bibliotheken findet nur in einer Schule regelmäßig statt. Indes ist diese nicht an deren Schulmediothek gebunden, sondern Teil einer Zusammenarbeit der Öffentlichen Bibliothek mit mehreren Schulen im Stadtbezirk.

Zudem ist jede der besuchten Bibliotheken vorrangig Teil der jeweiligen Schule und dieser beigeordnet. Somit sind sie immer dem Schulamt und nicht dem jeweiligen Bibliotheksamt untergeordnet. Die Ansicht, dass eines der größten Probleme für Schulbibliotheken die unterschiedliche bürokratische Zuordnung von Schulen und Bibliotheken darstellen würde, lässt sich insoweit mit diesen Beispielen nicht bestätigen. Die Vorstellung von bibliothekarischer Seite, Schulbibliotheken als Lehrraum für die Bibliotheksbenutzung anzusehen, wird in keiner Einrichtung reflektiert. [176]

Allgemein sind sowohl die bibliothekarischen als auch die pädagogischen Diskussionen um Schulbibliotheken in der schulbibliothekarischen Praxis nicht bekannt. Es bestehen keine Kommunikationsmittel oder -wege, über die dies geschehen könnte. Ebenso wenig könnte aus diesen Schulbibliotheken direkt in diese Diskussionen eingegriffen werden. Gleichwohl sind alle in Betrieb und funktionieren im Rahmen ihrer jeweiligen Ausstattung.

Dabei werden die Anforderungen an die Bibliotheken offenbar jeweils in den Schulen selbstständig definiert. Eine Einrichtung funktioniert als betreute Lehrbuchsammlung. Das bedeutet, dass sie die vorhandenen Lehrbücher verwaltet und kurzfristig an Lernende ausleiht sowie die Ausgabe der Lehrbücher am Schuljahresanfang organisiert und durchführt. Ferner wird über diese Bibliothek ein Bücherfonds verwaltet. [177] Diese Aufgaben werden von der Bibliothek erfüllt und von den Lehrenden und Lernenden genutzt. Andere Ansprüche werden an die Bibliothek nicht gestellt. Eine andere Bibliothek funktioniert vorrangig als Aufenthaltsraum für die großen Pausen, in dem Bücher gelesen werden können. Diese Funktion wird ebenfalls erfüllt, aber die große Zahl weiterer in der Literatur Schulbibliotheken zugeschriebener Aufgaben nicht angedacht.

Es ist schwierig, die einzelnen Einrichtungen untereinander zu vergleichen. Alle sind gänzlich unterschiedlich aufgebaut und ausgestattet. So wurde eine Bibliothek von einer Diplom-Bibliothekarin und einer „1-Euro-Kraft“ betrieben, eine weitere durch eine Aushilfe der Schule, welche nur für ein Schuljahr angestellt ist, die nächste durch zwei Lesepatinnen sowie eine durch zwei und die letzte durch eine Lehrerin. Unterstützt wurde das Personal in einer Bibliothek gar nicht, in einer weiteren durch andere Lehrerinnen und Lehrer, in einer dritten Einrichtung zusätzlich durch Eltern und in vier Einrichtungen durch Lernende, wobei deren Unterstützung wiederum unterschiedlich ausfiel. Fortbildungen in diesem Bereich hat nur die schon zitierte Diplombibliothekarin besucht. Dies geschah noch vor der Abwicklung des Deutschen Bibliotheksinstituts im Jahr 2000 und diente ihr vorrangig für den Erfahrungsaustausch mit anderem Schulbibliothekspersonal. Die zwei Lesepatinnen besuchen als solche Fortbildungen zur Lesearbeit mit Kindern, deren Erkenntnisse sie in die Schulbibliotheksarbeit einfließen lassen.

Gemessen an der Kennziffer Medien pro Person – ohne Lehrbücher – reicht die Spanne von 0 bis 19. Drei Einrichtungen können mit einem eigenen Etat wirtschaften. Dieser differiert zwischen 200 und bis zu 6000 € im Jahr.

Zwei Gemeinsamkeiten sind demgegenüber festzuhalten. Erstens verzichtete jede Bibliothek auf einen aktuell geführten Katalog. Dieser wird vor allem von bibliothekarischer Seite immer wieder gefordert. Die Erschließung erfolgt durch Aufstellung, wobei keine Einrichtung auf einen relevanten Archivraum zurückgreifen kann. Nur eine Bibliothek benutzt dabei die Berliner Systematik, alle anderen Systematiken orientieren sich am vorhandenen Bestand, an den Unterrichtsfächern sowie – in den Grundschulen – am Lesealter der Lernenden. [178] Zweitens wurde in jeder Einrichtung direkt oder indirekt betont, dass es in der Schulbibliothek unkomplizierter zugehen solle als in Öffentlichen Bibliotheken. Die Schulbibliotheken werden somit eher als Freizeit und Aufenthaltsraum angesehen denn als Spezialbibliothek mit Lehrauftrag.

Im Bezug auf die hier gestellte Frage, wie Schulbibliotheken in der Praxis mit den an sie gestellten Anforderungen umgehen, ist keine Antwort möglich. Aktuell besteht keine Verbindung zwischen der schulbibliothekarischen Praxis, den Forschungsbeiträgen zu Schulbibliotheken und den Ansprüche an Schulbibliotheken. Es stellt sich die Frage, auf welcher empirischen Basis die bisher publizierten Texte basieren oder ob nicht nur einige, wenig repräsentative, Schulbibliotheken als Grundlage der bisherigen Forschung dienten. Angesichts des im Rahmen dieser Arbeit herausgearbeiteten Ungleichgewichtes zwischen den potentiell an Schulbibliotheken interessierten Gruppen zugunsten der Äußerungen in bibliothekarischen Publikationen, ist zu vermuten, dass gerade solche Einrichtungen vorgestellt und in die Betrachtungen einbezogen wurden, welche bibliothekarischen Vorstellungen zumindest zum Teil entsprechen. Während dies aus politischen Gründen verständlich sein kann, ist es ein wissenschaftliches Manko, da so ein großer Teil der schulbibliothekarischen Einrichtungen in Deutschland nicht in das Blickfeld der Forschung geraten ist. Ein Desiderat wäre deshalb eine möglichst breit gefasste Evaluation aller vorhandenen Institutionen dieser Art in Deutschland. Zudem müsste, wenn Schulbibliotheken über den bisherigen Zustand hinaus entwickelt werden sollen, eine Kommunikation zwischen ihnen hergestellt werden. Es ist zumindest ersichtlich geworden, dass die bisherigen Angebote schulmediothek.de und Beiträge Jugendliteratur und Medien nicht ausreichend sind.

3.4 Fazit

Die vorliegende Arbeit versuchte in einem Gesamtüberblick, die verschiedenen Anforderungen, welche heute in Deutschland an Schulbibliotheken gestellt werden, systematisch darzustellen. Dabei wurden mehrere Schwierigkeiten deutlich. Es existiert kein Schulbibliothekssystem in Deutschland, welches in seiner Gesamtheit gezeichnet, untersucht oder mit Vorschlägen zur Weiterentwicklung angesprochen werden könnte. Über vereinzelte Schulbibliotheken hinausgehende Institutionen sind nur selten vorhanden. Außerdem wirken diese wenigen, wie die Schulbibliothekarische Arbeitsstelle in Frankfurt am Main oder die Landesarbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Hessen, vor allem regional und lokal. Bundesweit agiert einzig die Expertengruppe Zusammenarbeit Bibliothek und Schule im Deutschen Bibliotheksverband, welche, neben ihrer Redaktionstätigkeit und der Organisierung von Fortbildungsveranstaltungen, wenig politischen Einfluss nimmt. Mit dem Portal schulmediothek.de und der Rubrik schulbibliothek aktuell in den Beiträgen Jugendliteratur und Medien bestehen nur zwei, zudem beide von der gleichen Expertengruppe betreute, regelmäßige Publikationen zu Schulbibliotheken.

Eine systematische Forschung findet nicht statt. Die wenigen aktuellen Beiträge beschränken sich auf Einzelfalluntersuchungen. Darüber hinausgehend gibt es keine wissenschaftliche Darstellung der Möglichkeiten und realen Wirksamkeit oder des Alltags von Schulbibliotheken in Deutschland. Es existiert dementsprechend keine Institution, welche eine solche Grundlagenforschung initiieren und vorantreiben könnte. Ohne diese Grundlagenforschung wirken die meisten wissenschaftlichen Texte über Schulbibliotheken in Deutschland vorrangig als politische Plädoyers für diese. Jene halten hingegen – wie sich bei der Auseinandersetzung mit den aus den PISA-Studien gewonnen Argumenten und den Vorstellungen, Schulbibliotheken als Lernorte für die computerbasierten Neuen Medien einzusetzen, zeigte – empirischen Überprüfungen oft nicht stand.

Zwar finden sich einige Schriften, die versuchen, Ergebnisse und Ansätze der Leselernforschung auf Schulbibliotheken zu übertragen. Indes sind diese für die Frage nach den Forderungen, die an Schulbibliotheken gestellt werden, wenig hilfreich.

Eine weitere fundamentale Schwierigkeit besteht, wie in der vorliegenden Untersuchung herausgearbeitet wurde, in der relativen Isolierung der Gruppen, welche Ansprüche an Schulbibliotheken stellen könnten, voneinander. Die bibliothekarischen Anforderungen und Vorstellungen von den Möglichkeiten solcher Einrichtungen sind offenbar außerhalb bibliothekarischer Kreise unbekannt. Gleichwohl werden in diesen Kreisen die pädagogischen Ansichten kaum reflektiert. Über die dritte relevante Gruppe, die Schülerinnen und Schüler, finden sich gar keine Aussagen.

Die aufgezeigten Anforderungen lassen nach ihrer Systematisierung drei vorläufige Schlüsse zu:

  1. Die pädagogischen und bibliothekarischen Anforderungen stimmen nicht überein. Über andere Anforderungen kann keine Aussage getroffen werden.
  2. Die pädagogischen und bibliothekarischen Anforderungen widersprechen sich nicht und ließen sich miteinander vermitteln.
  3. Mit dem Begriff Schulbibliothek werden unterschiedliche Institutionen und Vorstellungen bezeichnet.

In Anbetracht dessen, dass es ebenso keine geregelte Aus- und Fortbildung für schulbibliothekarisches Personal gibt, auf die eventuell bei der Analyse der Aufgaben von Schulbibliotheken aufgebaut werden könnte, und dem Ergebnis einer Anzahl von Schulbibliotheksbesuchen in Berlin, dass diese vor allem eine schwer zu vergleichende Vielfalt bieten, konnte diese Arbeit nur Stückwerk bleiben. Der hier gegebene Versuch einer Systematisierung kann, obwohl er breiter angelegt war, nur als exemplarische Untersuchung bewertet werden. Die in Tabelle 6 dargestellten Ergebnisse der hier vorgelegten Arbeit weisen vor allem Lücken auf, welche durch breiter angelegte Forschungen, die neben den durchgeführten Leitfaden-Interviews eine intensive sozialwissenschaftliche Durchleuchtung des schulbibliothekarischen Alltags beinhalten sollten, gefüllt werden müssten.

4. Aussichten und Anwendungsmöglichkeiten

Abschließend sollen mögliche Entwicklungsrichtungen von Schulbibliotheken in Deutschland aufgezeigt werden, welche sich aus den Anforderungen an diese ergeben könnten. Freilich bleibt, wie diese Arbeit aufgezeigt hat, einzuschränken, dass viele Schulbibliotheken bisher von solchen Diskussionen nicht erreicht werden können. Wirklich konsistente Vorrausagen müssten zudem neben dieser Arbeit auf einer ähnlichen Untersuchung aus erziehungswissenschaftlichem Blickwinkel basieren. Angesichts dessen, dass Schulbibliotheken in den Schulen – dass heißt in einem pädagogischen Rahmen – vor allem als interne Lern- und Angebotsräume wahrgenommen werden, ist der bibliothekswissenschaftlichen Ansatz, welcher in dieser Arbeit und den meisten anderen Arbeiten auf diesem Gebiet verfolgt wurde, nicht ausreichend.

4.1 Ansätze zum Ausgleich der Ansprüche

Ein Großteil der eruierten Ansprüche der unterschiedlichen Gruppen an Schulbibliotheken widerspricht sich nicht. Eine ausreichende personelle, finanzielle und räumliche Ausstattung vorausgesetzt, würde eine Umsetzung in einer Einrichtung möglich sein. Das Problem scheint in den unterschiedlichen Vorstellungen von der Stellung und dem Nutzen der Schulbibliotheken zu liegen.

Es ist in dieser Arbeit mehrfach betont worden, dass in bibliothekarischen Texten Schulbibliotheken als vollkommen funktionstüchtige und eigenständige Spezialbibliotheken gezeichnet werden, während pädagogische Äußerungen vorrangig die unterstützende Funktion für das Lesenlernen und den Unterricht einiger ausgewählter Schulfächer hervorheben. Diese beiden Konzepte bedingen differente Ansätze in der Ausstattung und der Nutzung von Schulbibliotheken. Ein Beispiel dafür sind die Kataloge, welche in fast allen bibliothekarischen Beschreibungen von Schulbibliotheken als notwendig bezeichnet werden, sich aber in pädagogischen Texten oder der schulbibliothekarischen Praxis nicht finden lassen.

Bevor versucht wird, die einzelnen Ansprüche in einer Institution zu erfüllen, wäre es notwendig, sowohl auf der Ebene der einzelnen Schulen als auch der Länder oder für den gesamten Bund, die Frage zu klären, welche Schulbibliotheken mit welchen Aufgaben im deutschen Schulsystem existieren sollen. Dabei sollten die Vorstellungen aller potentiell beteiligten Gruppen beachtet werden. Bisher werden Forderungen zumeist von bibliothekarischer Seite aus aufgestellt, während davon unabhängig vorrangig Pädagoginnen und Pädagogen sowie andere, meist ehrenamtliche Kräfte, Schulbibliotheken aufbauen. Diese funktionieren dann, indes oft in einer nicht mit den bibliothekarischen Vorstellungen zu vereinbarenden Weise.

Dabei müssten ebenso die Veränderungen in deutschen Schulen antizipiert werden. Zum einen werden, angezeigt durch die PISA-Studien, neue Vorstellungen von den Aufgaben und Zielen der Bildung an die Schulen herangetragen. Zum anderen werden in verstärktem Maße andere Personengruppen, als nur die Lehrenden, in den Schulalltag integriert. Vor allem in den Berliner Grundschulen sind das die in dieser Arbeit mehrfach angesprochenen Lesepatinnen und Lesepaten.

Ein weiterer Trend, welcher in der Literatur selten berücksichtig wird, ist die Tendenz, den Zugang zu Schulbibliotheken so einfach wie möglich zu gestalten. Dies widerspricht der Vorstellung, dass Kinder und Jugendliche in Schulbibliotheken die eigenständige Nutzung bibliothekarischer Angebote erlernen sollen. Mit dieser Grundentscheidung ist bibliothekarisches Fachpersonal für den Betrieb von Schulbibliotheken nicht nötig. Wenn die Aufstellung sich grob am Bestand und den Lehrfächern orientiert, keine Kataloge geführt werden, die Benutzung Neuer Medien in den von den Schulbibliotheken unabhängigen Computerkabinetten erfolgt, wissenschaftliches Arbeiten nicht in den Schulen, sondern erst auf den Hochschulen vermittelt wird und die Hauptaufgabe der Schulbibliotheken darin gesehen wird, einen Raum für flexiblen Unterricht, die Kontemplation und das Lesenlernen bereitzustellen, ist tatsächlich keine bibliothekarische Ausbildung zum Führen einer solchen Einrichtung notwendig. Damit ist nichts darüber gesagt, ob eine Schulbibliothek, welche in dieser Weise geführt wird, die erhofften positiven Effekte zeitigt. Es wäre jedoch eine mögliche Konsequenz aus einer solchen Richtungsentscheidung.

Kinnel (1994) berichtet von einem Trend vor allem kleinerer Schulen in Großbritannien – welche zudem mit dem damals neuen System der Eigenbudgetierung umzugehen hatten – auf die Anstellung einer bibliothekarischen Fachkraft zu verzichten und stattdessen im Verbund das Modell eines Shared Libarians umzusetzen. Diese Fachkraft ist für die jeweilig zusammengeschlossenen Schulen gleichzeitig zuständig, wobei die Hauptarbeit in den Bibliotheken durch Hilfs- und andere Kräfte geleistet wird. Würde sich in Deutschland für eine eher pädagogisch oder sozial-arbeiterisch orientierte Schulbibliotheksarbeit entschieden, wäre dieser Weg ebenso diskutabel. Aktuell steht die unbegründete Forderung, dass Schulbibliotheken von einer Diplom-Bibliothekarin oder einem Diplom-Bibliothekar geführt werden sollen einer Praxis gegenüber, welche nahezu vollständig auf solches Personal verzichtet.

Weiterhin ist – ohne eine Klärung der grundsätzlichen Frage nach der Ausrichtung von Schulbibliotheken – nicht klar, wie die Forderung die Schulbibliotheken in die Curricula einzubinden, bewerkstelligt werden kann. Die Verweise darauf, dass dies in anderen Staaten passiert, sind zwar inhaltlich richtig, sagen dennoch weder etwas darüber aus, wie dies im deutschen Bildungssystem passieren soll, noch ist es ein Beweis dafür, dass die in der Literatur vorhergesagten positiven Effekte nur durch Schulbibliotheken zu erreichen wären. In dieser Frage gehen zudem die bibliothekarischen und pädagogischen Vorstellungen auseinander. Ob zum Beispiel Library Skills als eigenständiges Fach, als Teil eines, mehrerer oder aller Fächer oder gar nicht unterrichtet werden soll, bedarf im Zusammenhang potentieller Entwicklung eines Schulbibliothekssystems einer Klärung. Zumal einige Bundesländer – durch die Zusammenarbeit mit Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken – Wege eingeschlagen haben, auch ohne die Institution Schulbibliothek grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit Bibliotheken im Unterricht vermitteln zu lassen. Ob diese Ansätze ausreichen oder ob nur Schulbibliotheken eine ausreichende Infrastruktur bieten um die geforderten Kenntnisse zu erlangen, ist noch nicht geklärt.

4.2 Notwendige Vorraussetzungen zur Erfüllung der Ansprüche

Jeder Versuch, die hier dargestellten Anforderungen in deutschen Schulbibliotheken zu erfüllen, muss vorrangig politisch orientiert sein. [179] Zwar sind wissenschaftliche Begleitforschungen in einem solchen Prozess notwendig, doch die bisherige Stellung von bibliothekarischen Einrichtungen im deutschen Bildungssystem kann einzig aufgrund politischer Entscheidungen verändert werden. Dazu muss vor allem Klarheit darüber geschaffen werden, welche Ansprüche allgemein akzeptiert sind und welche Vorstellungen sich von Schulbibliotheken gemacht werden. Eventuell ist die Politik und ein Großteil der Verantwortlichen des bibliothekarischen und des pädagogischen Bereiches mit der bisherigen Situation – trotz aller Gegenmeinungen – zufrieden und sieht keinen Grund für eine Veränderung. Dies könnte erklären, warum zumindest einige Aufgaben, welche in der hier behandelten Literatur Schulbibliotheken zugeschrieben werden, im deutschen Bildungsalltag anderen Institutionen übertragen worden sind.

Falls sich dennoch für den Auf- oder Ausbau von Schulbibliotheken entschieden wird, lassen sich vier Vorraussetzungen aufzeigen, die erfüllt werden müssten, um solche Anstrengungen produktiv werden zu lassen.

Schulbibliotheken müssen als Einrichtungen mit pädagogischen, bibliothekarischen, sozial-pädagogischen und gegebenenfalls anderen Aufgaben verstanden und akzeptiert werden. Dafür ist es notwendig die bisher relativ isoliert geführten Debatten im bibliothekarischen und im pädagogischen Bereich zu verknüpfen und in anderen Bereichen Diskussionen anzustoßen. Die bisherige Praxis, dass einzelne Autorinnen und Autoren entweder nur in bibliothekarischen oder nur in pädagogischen Zeitschriften zu diesem Thema publizieren, ist für die Institution Schulbibliothek unpassend. Es ist bezeichnend, dass sich von schulbibliothekarischem Personal immer wieder Äußerungen finden lassen, dass eine Schulbibliothek ohne bibliothekarische Kenntnisse in ausreichendem Maße geführt werden könne und gleichzeitig von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, wenn auch nicht offen, die Meinung vertreten wird, dass vor allem Lehrerinnen und Lehrer kaum Ahnung von den Möglichkeiten einer gut ausgestatteten Bibliothek hätten. [180] Beide Meinungen sind nicht falsch.

Die heutigen Schulbibliotheken können ohne bibliothekarische Ausbildung geführt werden, aber sie bieten bei Weitem nicht die Möglichkeiten ausgestatteter Bibliotheken. Die Frage ist, ob sie das sollen und wenn ja in welcher Form. Eine gegenseitige Disqualifizierung der jeweiligen fachspezifischen Ausbildung und Kenntnisse ist indes wenig hilfreich, um diese elementare Frage zu klären. Hier besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass eventuell eine Veränderung der Situation, trotz aller möglichen Vorteile, gar nicht gewünscht wird. Dennoch gälte es – um darüber Klarheit zu erlangen – einerseits im wissenschaftlichen, andererseits im politischen und alltäglichen Bereich Fachgrenzen zu überwinden.

Eine unabdingbare Vorraussetzung für den Auf- und Ausbau von Schulbibliotheken, egal in welcher Form, wäre die langfristige Planbarkeit. Eine solche Einrichtung benötigt immer eine Anzahl von Jahren, um sich im Schulalltag durchzusetzen und als alltägliche Institution genutzt zu werden. Auch eine Zusammenarbeit zwischen Schulbibliotheken und Öffentlichen Bibliotheken, so sie den stattfinden soll, benötigt eine Anlaufzeit. Zudem kann eine Schulbibliothek für Schülerinnen und Schüler erst eine Bedeutung erlangen, wenn sie als kontinuierlich arbeitend wahrgenommen wird.

Dies steht dem aktuellen Trend, nicht nur im Bildungsbereich, entgegen. Fest angestelltes, nicht unbedingt für den Schulbetrieb notwendiges Personal wird in immer stärkerem Maße aus den Schulen verdrängt und durch so genannte 1-Euro-Jobs und andere Formen der geringfügigen Beschäftigung ersetzt. In Berlin sieht – die zu großen Teilen offenbar schon umgesetzte – wahrscheinliche Planung des Senats vor, die Schulbibliotheken in den Oberstufenzentren, welche bisher von Diplom-Bibliothekarinnen betreut wurden, vollständig durch Lehrkräfte und durch Personen in 1-Euro-Jobs betreiben zu lassen. In einer brandenburgischen Kreisstadt wurde im Schuljahr 2005/2006 in einem Gymnasium eine Schulbibliothek eröffnet, die in diesem Schuljahr von einer solchen Hilfskraft betreut wird. Die Betreuung in den folgenden Jahren ist dagegen nicht abgesichert. Eine wirksame schulbibliothekarische Arbeit, selbst wenn sie nur als das zur Verfügung Stellen eines Freizeitraumes verstanden werden sollte, ist auf diese Weise unmöglich.

Es wurden bei der hier vorliegenden Untersuchung Schulbibliotheken besucht, welche in den letzten Jahren zwar existierten, aber nicht betreut und deshalb nicht benutzt wurden. Der Bestand veraltete in diesen Fällen rapide, so dass vor der Neueröffnung jeder dieser Bibliotheken eine radikale Aussonderung eines signifikanten Anteils der Medien notwendig war. Die jetzige Personalpolitik für Schulbibliotheken lässt befürchten, dass diese Diskontinuität von jahrelang geschlossenen, dann wieder eröffneten und bald darauf wieder geschlossen Schulbibliotheken sich ausweiten wird. Dazu trägt nicht zuletzt die Tendenz bei, Schulbibliotheken im Rahmen von unterschiedlichen Projekten verschiedener Trägerinstitutionen zu gründen und dann, ohne weitergehende Absicherung, nach Auslaufen der Projekte den Schulen – welche allgemein mit sinkendem Etat zu kämpfen haben – zu übergeben.

Eine langfristige Planbarkeit für Schulbibliotheken müsste sich ebenso auf finanzielle und andere Rahmenbedingung erstrecken. Es wurden im Rahmen dieser Untersuchung zahlreiche Schulbibliotheken gefunden, welche ohne einen regelmäßigen Etat auskommen müssen. Von einer ausreichenden finanziellen Ausstattung kann nur in einem Fall die Rede sein. In einer solchen Situation sind ein kontinuierlicher Bestandsaufbau, das Anbieten von regelmäßigen Aktionen und Projekten, größere Umbauten in den Schulbibliotheken oder Abonnements nicht zu realisieren.

Desweiteren ist es unbedingt notwendig, eine funktionierende Kommunikation zwischen den einzelnen Schulbibliotheken und zwischen Schulbibliotheken und anderen Institutionen zu initiieren und langfristig zu ermöglichen. Solange Schulbibliotheken einzig mit ihrer jeweiligen Schule kommunizieren, ist es unmöglich überhaupt irgendeine Änderung der aktuellen Situation herbeizuführen. Das Portal schulmediothek.de, mit der von der schulbibliothekarischen Arbeitsstelle Frankfurt am Main betreuten Mailingliste, sowie die Rubrik schulbibliothek aktuell in den Beiträgen Jugendliteratur und Medien, reichen in der bisherigen Form für diese Kommunikation augenscheinlich nicht aus. Dabei sollten drei Ergebnisse der hier vorgelegten Untersuchung beachtet werden.

Zum einen ist es für die meisten Schulbibliotheken nicht möglich, für eine solche Kommunikation Kosten zu übernehmen. Selbst wenn die Zeitschrift schulbibliothek aktuell weiterhin eigenständig erscheinen würde, würde sie von den meisten Einrichtungen nicht abonniert werden können. Insoweit müssten nicht etwa kostengünstige, sondern kostenfreie Kommunikationsangebote gemacht werden. Dabei kann – von der Ausstattung der Bibliotheken selber ausgehend – nicht nur auf die elektronische Kommunikation gesetzt werden. Einige Schulbibliotheken bieten einfach keinen oder nur einen unbequemen zu nutzenden und langsamen Internetzugang. Letztlich müsste eine Institution gefunden werden, welche die Kosten mindestens einer kostenlos verteilten praxisbezogenen Zeitschrift tragen würde. Zum zweiten ist es nicht möglich, ein Angebot alleine bereit zu stellen und dann auf die Nutzung durch das schulbibliothekarische Personal zu hoffen. Es ist absolut unentbehrlich, dass auf die existenten Schulbibliotheken zugegangen wird und diese auf die vorhandenen Angebote hingewiesen werden. Dass in nur einer der besuchten Bibliotheken das deutsche Fachportal zu Schulmediotheken überhaupt bekannt war, spricht dafür, dass dies bisher versäumt wurde. Dazu müssten in regelmäßigem Abstand neue oder wiederbelebte Schulbibliotheken eruiert werden. Drittens ist in den Schulbibliotheken nicht überall der Wunsch nach einer Kommunikation mit anderen Einrichtungen vorhanden. Es wird oft in dieser zusätzlichen Anstrengung kein Gewinn gesehen. Hier müsste durch positive Beispiele und klaren Vorstellungen, worüber kommuniziert werden sollte, Abhilfe geschaffen werden. Die relative Beliebigkeit in der Auswahl der Artikel der selbstständig erscheinenden schulbibliothek aktuell könnte dazu beigetragen haben, dass sich in den Jahren ihres Erscheinens eine relevante Anzahl von Personen nicht an der Kommunikation zwischen Schulbibliotheken beteiligen wollte. Kommunikation braucht relevante Themen und funktioniert nicht allein durch das zur Verfügung stellen von Kommunikationsmöglichkeiten. Dies ließ sich in Schulbibliotheken beobachten, die nur wenige Meter von Öffentlichen Bibliotheken entfernt lagen und trotzdem mit diesen keinen Kontakt suchten. [181] Scheinbar wurde dieser Möglichkeit nicht die Relevanz vor anderen Aufgaben eingeräumt.

Letztlich lässt sich der Aus- und Aufbau von Schulbibliotheken ohne den großzügigen Aufbau einer unterstützenden Infrastruktur nicht bewerkstelligen. Dabei wurde durch die schulbibliothekarischen Arbeitsstellen genau dies versucht. Demgegenüber war immer relativ unklar, welche Aufgaben diese übernehmen sollten. Zudem waren sie meist für die von ihnen übernommenen Aufgaben nicht ausreichend ausgestattet. Es müsste klar sein, was eine unterstützende Infrastruktur leisten soll und kann. [182] Dies ist selbstverständlich ohne eine Beantwortung der Frage, was Schulbibliotheken leisten sollen, nicht zu formulieren. Wenn Schulbibliotheken keine Library Skills vermitteln sollen, mag es nicht erforderlich sein, dass eine Stelle die Katalogisierung ihrer Bestände organisiert. Wenn Schulbibliotheken vorrangig der Leseförderung dienen sollen, mag die Hauptaufgabe einer unterstützenden Infrastruktur in der Hilfestellung zu Leseförderungsmassnahmen bestehen können.

Teil dieser Infrastruktur muss unbedingt eine – oder mehrere – im politischen Feld agierende Institution sein. Diese fehlen bisher in Deutschland vollständig. Die Expertengruppe Zusammenarbeit Bibliothek und Schule kann diese Aufgabe, wenn sie mit der Praxis der Nicht-Regierungsorganisationen People for Education in Ontario oder National Union for Revival of School Libraries in Süd-Korea verglichen wird, nicht wahrnehmen. Beide spielten in ihren Aktionsgebieten eine immanent wichtige Rolle für die dortigen Schulbibliotheken, welche ansonsten nur von einigen School Library Associations übernommen werden konnte. Dabei ist, gerade in einem Land wie Deutschland, in welchem es keine Tradition von Schulbibliothekspraxis gibt, eine starke Lobbyarbeit unerlässlich, um solche Einrichtungen – über die bisher vereinzelten Initiativen hinaus – zu initiieren.

Eine zumindest national zu organisierende Aufgabe wäre die wissenschaftliche Begleitung der Schulbibliotheksarbeit. Es ist auffällig, dass die Diskussion in Deutschland keine Verbindung zu Forschungsdebatten in anderen Staaten hat. So werden US-amerikanische Studien nur in Einzelfällen – und zudem meist unvollständig – zitiert, um auf den positiven Lerneffekt von Schulbibliotheken zu verweisen. Die restliche, sehr umfangreiche Literatur wird überhaupt nicht beachtet. Auf die nicht englischsprachige Literatur wird gar nicht eingegangen. Dabei würden diese Forschungen – da sie auf einer breiteren Basis erarbeitet werden, als dies in Deutschland möglich ist – einen wichtigen Beitrag zu den Debatten um Schulbibliotheken und die Gestaltung des Schulbibliotheksalltages liefern können. Dazu wäre eine Institution erforderlich, welche diese Forschungen sichtet, ihre Ergebnisse verbreitet und auf die Möglichkeiten einer Implementierung in das deutsche Bildungssystem hin überprüft. Außerdem würde eine solche Einrichtung die Möglichkeit bieten, den Schulbibliotheken eine wissenschaftliche Basis für ihre Weiterentwicklung zur Verfügung zu stellen. Zurzeit ist jede dieser Bibliotheken auf die eigenständig erworbenen Erkenntnisse angewiesen, um Trends zu erkennen und zum Beispiel die Möglichkeiten Neuer Medien für die eigene Arbeit zu eruieren. [183]

Schließlich wäre eine weitere Diskussion zweier divergenter Standpunkte unerlässlich. In mehreren Texten wird die Auffassung vertreten, dass – angesichts der Lage des deutschen Bildungssystems – die praktikabelste Möglichkeit eine Schulbibliothek aufzubauen im langsamen Ausbau bestehen würde. Wichtig sei die kontinuierliche Arbeit an diesem Projekt, welche ruhig in einem kleinen Raum, mit wenigen Medien beginnen und im Laufe ihrer Existenz ihre Notwendigkeit beweisen könnte. Auf diese Basis sollte die Einrichtung langsam erweitert und zu einer vollständigen Schulbibliothek entwickelt werden. [184] Dagegen betonen gerade die gerne als politisches Argument zitierten US-amerikanischen Studien, dass nur vollständig ausgestattete und personell bestückte Schulbibliotheken, welche in den Unterrichtsprozess eingebunden würden, einen positiven Effekt für die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler haben könnten. [185] Haycock (2003) bezeichnet gerade das Sinken der Zahl von qualifizierten Teacher Librarians als Krise des kanadischen Schulbibliothekssystems. Zudem ist es allgemein bekannt, dass Bibliotheken mit zu kleinem, veraltetem oder verschlissenem Bestand wenig benutzt werden. Da es sich bei Schulbibliotheken meistens um die ersten Bibliotheken handelt, welche von den betreffenden Kindern und Jugendlichen besucht werden, lässt sich deshalb die Frage stellen, ob der präferierte Weg zum Aufbau deutscher Schulbibliotheken tatsächlich zu empfehlen ist oder ob dieser nicht – zumindest im Hinblick auf die zukünftige Bibliotheksnutzung der Lernenden – negative Effekte hervorrufen kann. [186] Bei dieser Diskussion wäre zu beachten, dass die Anforderungen an Schulbibliotheken in Deutschland und in anderen Staaten differieren. Es würde eine andere Vorgehensweise in der politischen Argumentation notwendig, falls diese Debatte zu dem Ergebnis führen würde, dass nur vollständig ausgestattete Bibliotheken errichtet werden sollten.

Im Anschluss an solch eine Entscheidung müsste zuvörderst eine allgemein akzeptierte Definition der Institution Schulbibliothek gefunden werden. Die in dieser Arbeit verwendete musste, aufgrund der divergenten Ansichten und Realitäten in solchen Einrichtungen, allgemein gehalten werden und konnte im Verlaufe der Untersuchung nicht konkretisiert werden. [187] Dies trägt zu den festgestellten unvereinbaren Ansätzen in den unterschiedlichen Diskussionen um Schulbibliotheken bei und erschwert – wenn sie den gewünscht ist – eine breiter angelegte Aufbauarbeit in diesem Bereich.

4.3 Exkurs: Verstärkte Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek, veränderte Aufgaben der schulbibliothekarischen Arbeitsstellen: Ein deutscher Sonderweg?

Es existiert kein deutsches Schulbibliothekssystem. Dagegen bestehen unterschiedliche Modelle der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Bibliotheken. Ronald Schneider (2004b) stellt die Frage, ob die Expertengruppe Zusammenarbeit Bibliothek und Schule, welche als einzige Institution bundesweit für Schulbibliotheken agiert, sich in ihrer Arbeit auf diese oder aber auf den Ausbau der Zusammenarbeit der beiden Institutionen konzentrieren sollte. Er selber vertritt die Ansicht, dass als langfristiges Ziel beide Möglichkeiten gefördert werden müssten. Freilich weist er mit seiner Frage auf den eindeutigen Trend hin, Schulbibliotheken zu übergehen und dafür andere Formen der Zusammenarbeit zu propagieren. Dies kann als Antwort auf die Situation des deutschen Bildungswesens angesehen werden.

Die Bertelsmann-Stiftung, welche 1970 die grundlegende Studie zur Situation der deutschen Schulbibliotheken finanziert hatte und seit ihrer Gründung an einer am Arbeitsmarkt und weniger an der am humboldtschen Ideal orientierten Bildung interessiert war, führte 1995-2000 das Projekt „Öffentliche Bibliothek und Schule“ durch, welches exemplarisch für diese Trendwende angesehen werden kann. In mehreren Publikationen, Veranstaltungen und Einzelprojekten wurden unterschiedliche Formen der Kooperation propagiert, ohne das Schulbibliotheken dabei eine Rolle spielten. Dabei zeigte sich ebenso keine Auswirkung als im ersten Experten-Hearing Katherine Todd die Arbeit der Public Library in New York schilderte, welche ergänzend zur dort geleisteten Schulbibliotheksarbeit durchgeführt wird und damit indirekt darauf hinwies, dass zumindest in New York Öffentliche und Schulbibliotheken komplementär arbeiten. [188] In den folgenden Veröffentlichungen wurde sich vorrangig mit Klassenführungen und Leseförderung in Öffentlichen Bibliotheken auseinandergesetzt. [189]

Als neues Konzept wurde das Spiralcurriculum formuliert. Hierbei sollten die Öffentlichen Bibliotheken für die einzelnen Klassenstufen Einführungen entwickeln, welche aufeinander aufbauen. Die Grundidee ist dabei, dass die Kinder und Jugendlichen während ihrer Schullaufbahn mehrere Bibliothekseinführungen absolvieren und dabei alle Möglichkeiten von Bibliotheken kennen lernen würden. [190] Obwohl dieses Konzept die bisher anscheinend kaum sinnvollen Bibliothekseinführungen verbessern helfen würde, ist ersichtlich, dass Schulbibliotheken mit diesem die oft betonte Möglichkeit, Lernenden Library Skills nahe zu bringen, abgesprochen wird. Hingegen lassen sich bis heute keine Daten zu der Frage finden, wie weit dieses Konzept sich durchgesetzt oder welche Erfolge es gezeitigt hat. [191]

Neben diesem Projekt finden sich weitere kritische Äußerungen zur bisherigen Praxis der Bibliothekseinführungen und eine Diskussion von anderen Modellen der Zusammenarbeit von Schulen und Bibliotheken. Auigner (2005) referiert, dass die schulbibliothekarische Arbeitsstelle in Nürnberg vor allem die Koordination der Leseförderung und weniger die Unterstützung von Schulbibliotheken organisiert. Brünle und Rösler (2005) berichten für die Öffentliche Bibliothek in Stuttgart und Hohnschopp et al. (2005) für das Saarland von Erfahrungen mit dem Konzept einer Teaching Library. Hierbei wird die Öffentliche Bibliothek als Lernraum für Library Skills und Informationskompetenz verstanden. Diesem schreiben Brünle und Rösler (2005) die in der vorliegenden Arbeit herausgearbeiteten Anforderungen an Schulbibliotheken – wenn auch in einer anderen Terminologie – zu. [192] Von Initiativen, welche versuchen die Zusammenarbeit von Schulen und Bibliotheken mittels Fachstellen, Runden Tischen und ähnlichen Einrichtungen zu institutionalisieren, berichten wiederum diverse andere Veröffentlichungen. [193]

Hierbei fällt auf, dass diese Anstrengungen ebenfalls uneinheitlich in verschiedenen Regionen und Bibliotheken durchgeführt werden. Es ist nicht klar, ob diese die Arbeit in Schulbibliotheken ergänzen, ob sie diese ersetzen sollen oder ohne größere Verbindung mit diesen existieren. Festzuhalten ist, dass Öffentliche Bibliotheken bei Überlegungen, wie sie Schülerinnen und Schülern Informations- und andere Kompetenzen nahe bringen wollen, nicht in erster Linie an Schulbibliotheken denken. Teilweise werden sogar bestehende schulbibliothekarische Arbeitsstellen mit Aufgaben – vor allem dem Verwalten von Bücherkisten – betraut, welche mit Schulbibliotheken wenig zu tun haben. Inwieweit dies eine Reaktion auf die aktuelle Situation der Bibliotheken und Schulen sowie dem Scheitern aller Versuche ein Schulbibliothekssystem in Deutschland aufzubauen ist oder ob dies der Überzeugung folgt, dass Schulbibliotheken nicht die Voraussetzungen bieten, die Aufgaben zu erfüllen, welche nun von den Öffentlichen Bibliotheken übernommen werden, ist nicht zu klären. Es steht bis heute, trotz der von Schneider (2004b) gestellten Frage, die Diskussion aus, welche Formen der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Bibliotheken verwirklicht werden könnten. Indes gibt es in Deutschland die Tendenz – im Gegensatz zu einer großen Zahl anderer Staaten –, auf Schulbibliotheken zu verzichten.

4.4 Mögliche Konsequenzen für die schulbibliothekarische Arbeit

Die Ergebnisse der hier vorgelegten Arbeit lassen sich nicht im Sinne der Applied Science direkt in die schulbibliothekarische Praxis implementieren. Dies war im Forschungsansatz angelegt. Diese Arbeit ging nicht uneingeschränkt davon aus, dass Schulbibliotheken einen wichtigen Teil im deutschen Bildungssystem spielen müssten, sondern wollte die Frage klären, welche Gruppen welche Anforderungen an Schulbibliotheken stellen. In diesem Rahmen konnten unterschiedliche Vorstellungen, welche zu den Zielen und möglichen Arbeitsweisen solcher Einrichtungen vorliegen, aufgezeigt werden. Es bestätigte sich die in der Einleitung getroffene Feststellung, dass es sich bei Schulbibliotheken um hybride Institutionen handelt. Deshalb ist es nicht möglich, aus den Ergebnissen dieser Untersuchung konkret umzusetzende Projekte abzuleiten.

Es lassen sich für die schulbibliothekarische Arbeit vor allem Fragen benennen, die sowohl in den einzelnen Einrichtungen als auch übergreifend zu klären von Vorteil sein könnte:

  • Welche Vorstellungen haben die einzelnen Gruppen von den jeweiligen Schulbibliotheken und welche Anforderungen werden – direkt oder indirekt – an diese gestellt? Es ist zu vermuten, dass sich diese in den einzelnen Schulen weit mehr unterscheiden werden, als hier zu zeigen war.
  • Welche nicht direkt an die jeweilige Einrichtung gestellten Ansprüche, die nur in der Literatur oder auf andere Weise geäußert werden, könnten dennoch erfüllt werden?
  • Welche der Anforderungen sind überhaupt für die Aufgabe der Schulbibliotheken als Lernräume sinnvoll? Welche könnten – zumindest im Einzelfall – kontraproduktiv wirken?
  • Wie können die Forderungen erfüllt werden? Könnten aus ihrer Wahrnehmung veränderte Profile der Schulbibliotheken formuliert werden, welche die Stellung der Einrichtungen im Schullalltag und im politischen Diskurs, verändern?
  • Ist es sinnvoll die Anforderungen bestimmter Gruppen zu eruieren? Auf welche Weise könnte dies geschehen? Ein überraschendes Ergebnis dieser Untersuchung war, dass es keine Vorstellungen davon gibt, was Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern von Schulbibliotheken erwarten. Dennoch müsste eine erfolgreiche schulbibliothekarische Arbeit nicht nur eine Vorstellung von den eigenen Zielen und Aufgaben entwickeln, sondern an den Forderungen der Lernenden anschließen.
  • Ergeben sich aus den Anforderungen eventuell neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit oder neue politische Argumente für Schulbibliotheken? Wenn beispielsweise der bibliothekarischen Vorstellung zugestimmt wird, das Schulbibliotheken Informationskompetenzen vermitteln sollen und gleichzeitig diesen Fähigkeiten eine besondere Bedeutung im Bildungsprozess zugeschrieben wird, wäre es berechtigt, für die einzelnen Einrichtungen eine konkret geregelte Zusammenarbeit mit Öffentlichen Bibliotheken und eine höhere Finanzierung zu fordern. Falls auf der anderen Seite die pädagogische Ansicht akzeptiert wird, dass Schulbibliotheken vor allem dem Lesenlernen dienen sollen, wäre beispielsweise die Forderung, dass jede Schulbibliothek von einer Diplom-Bibliothekarin oder einem Diplom-Bibliothekar geführt werden sollte, zu überdenken.

Letztlich ergibt sich aus den Ergebnissen dieser Untersuchung insbesondere die eher ethische Forderung, auf der einen Seite die differente Realität in den einzelnen Einrichtungen als Ergebnis des Engagements des jeweiligen schulbibliothekarischen Personals ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite müssen die jeweiligen Anforderungen an Schulbibliotheken als berechtigt wahrgenommen werden, obwohl sie jeweils von anderen Vorraussetzungen und Zielen ausgehen. Bisher scheint einem starken, größtenteils ehrenamtlichen Engagement konkurrierende und in keiner Diskussion vermittelte Vorstellungen von den Möglichkeiten, der Notwendigkeit, den Zielen, notwendigen Vorraussetzungen und Wirkungen von Schulbibliotheken gegenüber zu stehen.

4.5 Forschungsperspektiven

4.5.1 Offene Fragen

Schulbibliotheken in Deutschland sind, wie gezeigt wurde, ein wissenschaftlich kaum erschlossenes Feld. Eine nicht vorrangig anwendungsorientierte Grundlagenforschung wurde in den letzten Jahrzehnten nicht betrieben. Außerdem sind die meisten Untersuchungen mit der Grundannahme geschrieben worden, dass Schulbibliotheken eine positive Ergänzung für Schulen darstellen würden. Dabei wurde, wie kurz angedeutet werden konnten, axiomatisch eine breite Palette von Ergebnissen vorhergesagt, die auf die jeweils aktuellen Bildungsdiskussionen Bezug nahmen. Es ist nicht klar geworden, ob diese Prognosen sich tatsächlich erfüllten.

Insoweit sind grundlegende Forschungsfragen nicht bearbeitet. Es fehlt an einer empirischen Basis. Es ist weder klar, welche Formen und Ansätze von Schulbibliotheken in Deutschland existieren, noch gibt es verlässliche Daten zu deren Anzahl und Verteilung. Die in dieser Arbeit verwendeten Daten für Berlin stellen einzig erste Annäherungswerte dar, welche nicht im ausreichenden Maße statistisch abgesichert werden konnten. Dabei sind beispielsweise für soziologisch orientierte Untersuchungen genauere Angaben notwendig. Daneben würde eine Systematisierung der tatsächlich bestehenden Schulbibliothekstypen die Diskussionen erleichtern. Bisher scheinen unter dem gleichen Begriff jeweils unterschiedliche Einrichtungen gemeint zu sein. Eine Systematik könnte konkretere Aussagen möglich machen. [194]

Soziologische Forschungen wären notwendig, um die relative Blindheit der Literatur zu Schulbibliotheken für soziale Unterschiede in der Verteilung, Nutzung und Wirkung von Schulbibliotheken zu überwinden. Es wird unausgesprochen davon ausgegangen, dass Schulbibliotheken für alle Schülerinnen und Schüler ähnliche Wirkungen haben würden. Dies obwohl die Soziologie, die Erziehungswissenschaft und zum Beispiel die PISA-Studien nachgewiesen haben, dass sich orientiert an Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Migrationshintergrund und anderen Merkmalen – und gerade im deutschen Schulsystem die Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Schultypen – relevante Unterschiede aufzeigen lassen, wie Bildungsangebote angenommen werden und wirken.

Ein wichtiger, bisher nicht bearbeiteter Bereich ist die Wirkungsforschung. Es gibt keine Untersuchungen darüber, welche Auswirkungen Schulbibliotheken lang- und kurzfristig für Lernende, den Unterricht und den Schulalltag haben. Dabei müssten nicht nur mögliche Leistungssteigerungen untersucht werden, sondern auch die – so wurde es mehrfach postuliert – wachsende soziale Kompetenz, die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler, welche im Umgang mit Schulbibliotheken wachsen solle sowie die Vorstellung, dass Unterricht in und mit der Schulbibliothek zu einer Demokratisierung des Schulalltags beitragen würde. Ebenso müsste überprüft werden, ob Schülerinnen und Schüler tatsächlich durch das Angebot einer gut ausgestatteten Schulbibliothek sicherer im Umgang mit Bibliotheken werden und in welcher Weise sie diese über die Schulzeit hinaus nutzen. Dabei sollte es nicht darum gehen, diese Wirkungen anzuzweifeln, sondern vorrangig Aussagen über deren Stärke und Relevanz zu treffen. Dies ist bisher in Deutschland nicht möglich. [195]

Ähnlich sollte der Frage nachgegangen werden, ob Lehrende Schulbibliotheken als Ort wissenschaftlichen Arbeitens begreifen, ob sie dies erst ab einer bestimmten Ausstattung tun oder wie sie – wenn es gewünscht ist – dazu gebracht werden können, dies zu tun. Bisher steht bei ihnen die Leseförderung im Vordergrund.

4.5.2 Forschungsansätze

Grundsätzlich liegen für die hier gestellten Forschungsfragen englisch- und anderssprachige Untersuchungen vor. Deren Designs könnte in vielen Fällen auf die deutschen Schulbibliotheken übertragen werden. Es wäre nötig diese Untersuchungen zu begutachten und Wege zu ihrer Implementierung zu suchen.

Obwohl es zynisch klingen mag, bietet die immer wieder betriebene Abwicklung von Schulbibliotheken, wie sie zurzeit in Berlin in den Oberstufenzentren vorgenommen wird, die Möglichkeit einer negativen Wirkungsforschung. Hier könnten zumindest statistisch die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, welche in der gesamten Ausbildungszeit diese Schulbibliotheken nutzen konnten, mit denen verglichen werden, die nur eine gewisse Zeit und solchen, die schließlich gar nicht auf diese Einrichtungen zurückgreifen konnten.

Außerdem bieten sich durch die relativ geringe Zahl von Schulbibliotheken Vergleichsuntersuchungen an. [196] Hierbei könnten Schulen, die in den meisten Merkmalen – wie der eigenen Infrastruktur, der Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler und des Umfeldes – miteinander zu vergleichen sind, sich aber durch das Vorhandensein und Fehlen einer Schulbibliothek unterscheiden, eingehend durchleuchtet werden. Dabei dürfte sich allerdings nicht auf Lernerfolge der Lernenden beschränkt werden. Zusätzlich wären das Schulklima, die Lernmotivation sowie die sozialen und demokratischen Kompetenzen zu beachten. Dazu wäre es praktikabel, auf Untersuchungsdesigns der Sozialwissenschaften, der Europäischen Ethnologie und der Erziehungswissenschaft zurückzugreifen und eventuell mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Professionen zusammenzuarbeiten. Für konsistente Ergebnisse müssten möglichst viele miteinander vergleichbare Schulen untersucht werden.

Eine wichtige internationale Untersuchung, die Aufschluss über die Wirkungsweisen und Möglichkeiten von Schulbibliotheken bieten würde, wäre der genaue Vergleich einer möglichst großen Anzahl von Schulbibliothekssystemen. Diese müssten, wie dies Ballenthin (2003) für einige Staaten praktiziert hat, über die Beschreibung der Bibliotheken hinaus auf das gesamte Bildungssystem sowie die sozialen und gesellschaftlichen Vorraussetzungen in diesen Staaten eingehen. Der in der hier vorliegenden Arbeit vorgenommene Vergleich der Schulbibliothekssysteme der Teilnehmerstaaten der PISA-Studien konnte dies nicht leisten. [197]

Weitere Anstrengungen sollten unternommen werden um allgemein für Schulbibliotheken zu verwendende Modelle zur Aufnahme unterschiedlicher Anforderungen zu erarbeiten. Dabei kann es nicht nur um die Eruierung von Bestandswünschen gehen. Es müssten mit diesen Modellen über die Gruppe der Nutzerinnen und Nutzer der jeweiligen Bibliotheken hinaus die Gruppe derer zu erreichen sein, welche die Bibliotheken nicht oder nur in eingeschränktem Maße nutzen. Zusätzlich sollten Modelle formuliert werden, um die Anforderungen von Eltern der jeweiligen Schülerinnen und Schüler zu ermitteln. Dies wird bisher, wie festgestellt wurde, überhaupt nicht betrieben.

Andere Analysen sollten, wenn sie sich als anwendungsorientierte verstehen, tatsächlich den Fokus auf die Darstellungen einzelner Projekte legen. Beschreibungen, die es ermöglichen, Projekte ohne größere Modifikationen in die eigene Arbeit einzubinden, waren in den geführten Interviews eine häufige Forderung des Personals in Schulbibliotheken. Dabei müssten die einzelnen Ansätze, welche bisher in den Publikationen zu Schulbibliotheken, prominent im Portal schulmediothek.de, nur äußerst grob skizziert wurden, möglichst breit ausformuliert werden. Auch die Kassette Lehrbriefe Schulbibliothek, welche 1985 vom Deutschen Bibliotheksinstitut herausgegeben wurde, enthält vielmehr Richtungshinweise, welche vom Personal der potentiellen und realen Schulbibliotheken selbstständig ausgearbeitet werden mussten und weniger praktisch umzusetzende Konzepte. Dabei würden solche höchstwahrscheinlich von einem großem Nutzen bei der Planung und politischen Argumentation für Schulbibliotheken sein.

Zusätzlich scheinen Untersuchungen welche – ausgehend von der tatsächlichen Situation in den Schulbibliotheken – die neuen Anforderungen an alle Bildungseinrichtungen, welche sich durch die PISA-Studien ergeben, auf ihre Relevanz, Gefahren und Potentiale für die Schulbibliotheksarbeit hin befragen und Strategien entwickeln, wie mit diesen umgegangen werden könnte, in den nächsten Jahren unbedingt notwendig.

Unterteilung: Kapitel 0-1 | Kapitel 2 | Kapitel 3-4 | Anhänge und Literatur
Fußnoten

174 Zur Situation in Berlin vgl. Tabelle 4 und Anhang C. Eine vollständige tabellarische Auswertung der Schulbibliotheksbesuche findet sich in Anhang A. [zurück]

175 Vgl. Kapitel 1.2.3.1. [zurück]

176 In einer findet regelmäßig der Lebenskundeunterricht statt, welcher von der Lehrerin, die diese Schulmediothek leitet, gegeben wird. Inwieweit dies Ergebnis einer Reflektion bibliothekarischer Ansprüche ist, ist unklar. Aufgrund fehlender Vermittlung dieser Anforderungen ist allerdings nicht davon auszugehen, dass diese beim Aufbau der Einrichtung beachtet wurde. [zurück]

177 In Berlin ist die Lehrmittelfreiheit aufgehoben. Zurzeit sind Eltern verpflichtet, bis zu 100 € pro Schuljahr und Kind für Lehrbücher auszugeben. Durch eine geringere Zahlung an den Bücherfonds erhalten sie diese Bücher für ein Jahr von der Schulbibliothek ausgeliehen. Da diese Medien in den folgenden Jahren weiter verliehen werden können, werden so die Kosten für die Eltern gesenkt. [zurück]

178 Menzel und Rabe (2005) berichten für Dresden ebenfalls von der Etablierung einer eigenständigen, nicht an den Öffentlichen Bibliotheken orientierten Systematik für Schulbibliotheken. [zurück]

179 Neumann und Neumann (2004) sprechen in ihrem Entwurf notwendiger Entwicklungen für ein Schulbibliothekssystem ebenfalls die politische Sphäre an, wenn sie beispielsweise Rahmenvereinbarungen zwischen bibliothekarischen, pädagogischen, kommunalen und ministeriellen Akteuren propagieren. Dennoch konzentrieren sie ihre Forderungen auf die Umstellung der Ausbildung von Bibliothekarinnen, Bibliothekaren und Lehrenden sowie der Verbesserung der Kommunikation zwischen beiden Berufsgruppen. Mengel (1994) veröffentlichte sein Plädoyer für Schulbibliotheken nachdem für Nordrhein-Westfalen neue Lehrpläne in Kraft getreten waren, welche Schulbibliotheken überhaupt nicht erwähnten. Diese Nicht-Beachtung von Schulbibliotheken, obendrein in relevanten Bereichen und bei wesentlichen Entscheidungen, ist Normalität. [zurück]

180 Vgl. Ruppelt (2005). [zurück]

181 Andererseits wurde ebenso in keiner Schulbibliothek davon berichtet, dass die Öffentlichen Bibliotheken den Kontakt gesucht hätten. [zurück]

182 Einen Vorschlag macht Hoebbel (2001). [zurück]

183 Umlauf (2005, S. 25) postuliert zu Recht, dass das ausgebildete Schulbibliothekspersonal seine Kompetenzen durch kontinuierliche Fortbildung verbessern muss. Dagegen thematisiert er nicht, welche Institutionen solche, dann über Einführungen hinausgehenden Fortbildungen, anbieten sollte. Sowohl die von der Expertengruppen Zusammenarbeit Schule und Bibliothek, als auch die von bibliothekarischen und bibliothekswissenschaftlichen Bildungseinrichtungen in Deutschland angebotenen Veranstaltungen, stellen selten mehr als solche Übersichten dar. Vgl. Meinhardt (2005). [zurück]

184 Vgl. Huber (1993), Wasser (1994), Semmel (1985), Neumann (2003). [zurück]

185 Vgl. U.S. National Commission on Libraries and Information Science (2006), Todd, Kuhlthau, Carol C. and Rutgers (2004), Lornsdale and Michele (2003), Haycock (2003). [zurück]

186 Heckmann (1985) betont beispielsweise, dass Schulbibliotheken die Grundlage für die zukünftige Haltung zu Bibliotheken legen würden. [zurück]

187 Vgl. Kapitel 1.1. [zurück]

188 Vgl. Dankert und Mittrowann (1995). Im Staat New York existiert, trotz nur für die Zusammenarbeit mit Schulen bei den Public Libraries angestellten Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, eine eigenständige School Library Association, welche regelmäßige Konferenzen organisiert. [zurück]

189 Vgl. Bertelsmann Stiftung (1998), Lander und Schwerdt (2005). [zurück]

190 Vgl. Bertelsmann Stiftung, Mittrowann und Palmer-Horn (2000), Hachmann (2005), Lander und Schwerdt (2005). Umlauf (2005, S. 15f.) kritisiert diesen Ansatz als ungeeignet zur Vermittlung von Informationskompetenz und bemerkt, dass keine Evaluation der Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler vorgesehen ist. [zurück]

191 Vgl. Kübler (2005). [zurück]

192 Die Anforderungen bei Brünle und Rösler (2005) lauten: Sprach- und Kommunikationskompetenz, Lesekompetenz, Medienkompetenz, Informations- und Recherchekompetenz, das Lernen lernen, kulturelle Kompetenz, soziale Kompetenz. [zurück]

193 Wien und Deutsches Bibliotheksinstitut (1999), Sockel-Zajac und Behner-Szwerczynski (2000), Schelle-Wolf (2000), Neumann und Neumann (2004), Bronett und Seewald (2005), Eisel (2005), Kunze, Döring und Daniel (2005), Menzel und Rabe (2005) und Lange-Bohaumilitzky (2005). [zurück]

194 So könnte sich zum Beispiel herausstellen, dass die bibliothekarische Forderung nach Katalogen sich auf Schulbibliotheken bezieht, die Kindern und Jugendlichen den Umgang mit Bibliotheken nahe bringen sollen und nicht unbedingt auf Einrichtungen in Grundschulen, welche vorrangig zur Leseförderung genutzt werden. [zurück]

195 Eine kurze Übersicht zu aktuell in Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland praktizierter Wirkungsforschung liefert Poll (2006). [zurück]

196 Vgl. 2.3.1. [zurück]

197 Zudem wären Studien wünschenswert, welche neben dem Schulbibliothekssystem die generellen Schul- und Bibliothekssysteme zumindest in den PISA-Teilnahmestaaten darstellen und vergleichen würden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (2003b) tut dies leider nur für Bildungssysteme sechs ausgewählter Länder. [zurück]