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No future?

von Karsten Schuldt

Science Fiction und politische Utopie – was läßt sich dazu sagen? Erstens, daß jede Zukunftsliteratur, egal ob sie als TV-Serie, Comic oder Roman daherkommt, ob sie in nächster oder allerentferntester Zukunft angesiedelt ist, ob sie auf verlassenen Raumstationen, blühenden Planeten oder in unfaßbaren und mystischen Welten spielt, immer an die Gegenwart gebunden ist, in der sie geschrieben und entworfen wurde. Und daß sie mehr über diese Gegenwart, ihr Denken, ihre Normen und Ängste aussagt als über die Zukunft, die beschrieben wird. Zweitens ist es nie falsch zu konstatieren, daß Science Fiction mögliche Gegenentwürfe zur bestehenden Gesellschaft entwickeln oder zumindest bestehende Gewißheiten ankratzen kann. Wenn es um das Darstellen von möglichen anderen Gesellschaftsformen geht, ist sie die prädestinierte Form von Literatur. In der Zukunft ist schließlich alles möglich. So weit, so gut. Damit erscheint das Thema aber auch erschöpft.

Die bisherigen drei Kongresse Out of this world!, die seit 2000 stattfanden, deuten aber darauf hin, daß es gerade im Hinblick auf emanzipatorische Perspektiven mehr zu besprechen gibt. Aus dem zweiten und dritten dieser Treffen ist der Band Out of this world! Reloaded. Neue Beiträge zu Science-Fiction, Politik & Utopie (Herausgeber: Lutz Kirschner, Christoph Spehr, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Manuskripte 49, Berlin 2004, 9,90 Euro) hervorgegangen. Eine Bereicherung ist er allerdings nicht. Eher eine Querschnitt von Vorüberlegungen und ein Hinweis darauf, daß im deutschsprachigen Raum bisher nur vereinzelt zu diesem Themenfeld gearbeitet wurde.

Einigermaßen unvermittelt stehen Anmerkungen zur Utopie und die Warnung vor ihr neben Filmbesprechungen. Gänzlich unangebracht erscheinen Aufsätze im letzten Teil des Buches, die vorgeblich konkrete Utopieentwürfe liefern und dabei vor allem in die theoretischen Fettnäpfchen tapsen, die im vorderen Teil aufgezeigt werden. Zum Beispiel bei der Frage nach dem Subjekt. Ist es im ersten Abschnitt des Buches noch brüchig und vor allem historisch in der Gesellschaft verankert, tritt es im letzten Teil auf einmal gänzlich unversehrt, autonom und unentfremdet auf den Plan. Oder aber folgendes: In einem Aufsatz wird gefragt, ob Utopieentwürfe in Science Fiction überhaupt als solche rezipiert werden und wirksam werden können, wenn die Rezipierenden von einer Veränderbarkeit der Welt gar nicht erst ausgehen, während in anderen Aufsätzen genau das das Programm ist: Utopien vorzuzeigen oder vorzuleben, wird zur gesellschaftsverändernden Kraft erklärt.

Überhaupt scheint es, als hätten sich die Autorinnen und Autoren der Texte gegenseitig wenig zu sagen. Da wird mit Michel Foucault, Donna Harraway und anderen postmodernen Theorien auf die notwenige Historisierung aller Verhältnisse und Annahmen über Gesellschaft, Kultur, Natur, Körper, Geschlecht und das Denken hingewiesen. Mit Theodor Adorno wird vor Hoffnungen auf lebbare Utopien gewarnt. Zudem wird ein reflektierter Umgang mit Wissenschaft, Technik und Rezeptionstheorien eingefordert. Und das alles, um am Ende bei mystischen Erzählungen und Utopien anzukommen, die sich vor allem am Erhalt des Bestehenden und Nischenbildungen interessiert zeigen. Hippiescheiße würde ich das in einer polemischen Minute nennen, weit entfernt von jeglicher Emanzipation.

Vielleicht sollte über den Zusammenhang von Utopie und Science Fiction weiter nachgedacht werden. Dazu regen einige an feministischer Theorie und Subjektkritik geschulte Aufsätze an. Vielleicht sollte Science Fiction als eine populäre Kultur unter vielen verstanden werden, die nur ganz selten emanzipatorisch sein kann – wie jede andere popkulturelle Erscheinung auch. Antworten oder zumindest wirklich weiterreichende Fingerzeige gibt dieser Tagungsband leider nicht.

Zu den Kongressen: www.outofthisworld.de

Quelle: das Blättchen, Nr. 15/2004, Juni 2004